Zu den
interessantesten amerikanischen Linien der Familie zählt die des
Frank A. Hardart, der 1858 mit seiner verwitweten Mutter, dem
älteren Bruder Philip und zwei Schwestern nach New Orleans
auswanderte. Frank war im Oktober 1850 als Franz Anton Hardardt in
Sondernheim geboren worden. Über seinen Vater Jakob Franz II.
(1838 verh. mit Franziska Katharina Mainzer), seinen Großvater
Jakob Franz I. (*1781, verh. 1806 mit Philippina Frisson) und seinen
Urgroßvater Johann Georg (*1757/59 in Freimersheim, verh. in
Sondernheim mit Margaretha Stubenrauch) war er ein Nachkomme
(Ur-Ur-Enkel) des Freimersheimer Schultheißen Hans Heinrich
Hartard. Für Frank Hardart ist an der Wende zum 20. Jahrhundert
der so oft geträumte ‚amerikanische Traum‘
Wirklichkeit geworden: denn seine Geschichte ist buchstäblich die
des Aufstiegs vom Tellerwäscher zum Millionär.
Sie beginnt im Jahr 1888 mit einer Zeitungsannonce: Joseph Horn, ein
junger Mann aus wohlhabender Familie, der sein Glück in der
Gastronomie versuchen will, benötigt einen erfahrenen Kompagnon,
um in Philadelphia ein Restaurant zu eröffnen. Für Frank
Hardart, der kurz zuvor nach Philadelphia gezogen ist und sich mit
Aushilfstätigkeiten in einem Café über Wasser
hält, klingt das Angebot verlockend; und so geht, glaubt man der
Legende, bei Joseph Horn wenig später eine seltsame Antwort ein:
ein Zettel, der aus einer Zuckertüte herausgerissen und mit den
dürren Worten beschrieben ist: „I’m your man.“
Die beiden Partner eröffnen noch im Winter desselben Jahres ihr
erstes kleines Lokal mit 15 Sitzplätzen. Aus diesen bescheidenen
Anfängen entwickelt sich eine der frühesten und in ihrer Zeit
größten amerikanischen Restaurantketten.
Das erste Markenzeichen des jungen Unternehmens war der von Frank
Hardart aus New Orleans importierte, im Nordosten noch wenig bekannte
Filterkaffee. Das Restaurant florierte und verfügte bald über
mehrere Filialen, die – auch das eine neue Geschäftsidee
– ihre Speisen vorgefertigt aus einer Zentralküche bezogen.
So etablierte sich das, was man heute ‚Systemgastronomie‘
nennen würde: die Gerichte waren in allen Lokalen standardisiert,
die Portionen stets gleich groß, der Geschmack verlässlich
derselbe, und die Preise blieben moderat.
Den eigentlichen Durchbruch brachte aber der Sommer 1902, als Horn
& Hardart in Philadelphia ihren ersten ‚Automaten‘
eröffneten: ein Restaurant ohne Kellner, in dem sich die Kunden
aus gläsernen, von der Rückseite her befüllten und gegen
Münzeinwurf sich öffnenden Fächern selbst bedienen
konnten. Frank Hardart hatte dieses Verkaufskonzept auf einer Reise
nach Deutschland in Berlin kennengelernt und begeistert nach Amerika
gebracht. Und: es ging auf. Die Gäste waren fasziniert von den
H&H Automats, in denen sich die Effizienz moderner Technik mit
einem vornehmen Interieur aus Holzornamentik und schimmerndem Messing
verband. Auch hier setzte man übrigens auf Einheitlichkeit: eigene
Hausarchitekten sorgten dafür, dass die Lokale ein
prägnant-typisches Erscheinungsbild im Stil des Art Déco
erhielten – eine frühe Form dessen, was als ‚Corporate
Identity‘ inzwischen zum kleinen Einmaleins der
Betriebswirtschaft zählt.
1912 expandierten Horn & Hardart nach New York, mit einem Automaten
an der Ecke Broadway / Times Square; zahlreiche Filialen folgten, dazu
konventionelle Cafeterias und, seit 1924, eigene Shops, die unter dem
Slogan „Less Work for Mother“ H&H-Fertiggerichte
verkauften. Die innovativen Ideen des Unternehmens trafen den Nerv der
Zeit; sie reagierten auf veränderte Lebens-, Arbeits- und
Konsumgewohnheiten vor allem einer breiten Schicht mittlerer und
kleiner Angestellter, Arbeiter und berufstätiger Frauen, die sich
in knappen Pausen auswärts verpflegen mussten oder wenig Zeit
für eine aufwendige Verköstigung ihrer Familien aufbringen
konnten und deshalb ein preiswertes, schnell zubereitetes und
unprätentiös dargebotenes Essen zu schätzen wussten.
Gleichzeitig wurden die H&H Automats aber auch schnell zu einer
populären Institution des amerikanischen way of life: ob nun in
Songs von Marilyn Monroe („A kiss may be grand but it won't pay
the rental / On your humble flat, or help you at the automat“,
heißt es in „Diamonds Are A Girl’s Best
Friend“), ob in Edward Hoppers melancholischem Gemälde
„Automat“ (1927) oder als Szenenschauplatz zahlreicher
Filme der 1930er- bis 1950er-Jahre.
Frank Hardart starb im Dezember 1918. Er war bis zuletzt, selbst nach
seiner Wahl in den Stadtrat Philadelphias, als Partner Horns aktiv
gewesen, der die Geschäfte nun zunächst allein, seit 1923
gemeinsam mit dem Bankier Edwin K. Daly weiterführte. Als 1941
auch Joseph Horn verstarb, gehörten zur Horn&Hardart-Gruppe
etwa 160 Restaurants mit 10.000 Mitarbeitern im Großraum New York
und Philadelphia. Die große Zeit des Unternehmens aber war
vorbei. Vor allem ab den 1960er-Jahren bekam es die Konkurrenz der
zweiten Generation von Schnellrestaurants zu spüren: Hamburger und
Pommes frites schmeckten plötzlich besser als die gebackenen
Bohnen aus dem Automat, McDonald’s und Burger King begannen, nun
im globalen Stil, den Markt zu beherrschen. H&H behaupteten sich
noch eine Weile als Franchisenehmer verschiedener Fast-Food-Ketten,
gingen mehrmals bankrott, schlossen 1991 das letzte Automatenlokal in
New York und konzentrierten sich zunehmend auf andere
Wirtschaftszweige. In den 1970er-Jahren hatte die Gesellschaft das
Versandhandelshaus Hanover Direct erworben, das heute zu den
führenden amerikanischen Katalog- und Onlineanbietern gehört.
Seit 1993 firmieren Horn & Hardart ausschließlich unter dem
Namen des einstigen Tochterunternehmens.
Was bleibt – das sind die verblassenden Erinnerungen an eine
amerikanische Ikone und ihre Väter, Joseph Horn und Frank Hardart,
die das US-amerikanische Wirtschaftsmagazin BusinessWeek im Jahr 2007
als „Erfinder des Fast Food“ unter die 30 wichtigsten
Unternehmer aller Zeiten wählte. Was bleibt, ist auch das
Innenleben des ersten H&H-Automaten, das in den Washingtoner
Sammlungen der Smithsonian Institution zu besichtigen ist. Und
schließlich bleibt noch ein wunderliches Musikinstrument, das den
Namen unserer Familie trägt: das ‚Hardart‘, ein
Automat, aus dem der Musiker je nach Bedarf verschiedene klang- und
geräuscherzeugende Utensilien entnimmt. Der Komponist Peter
Schickele (alias P. D. Q. Bach) konstruierte es eigens für sein
satirisches ‚Konzert für Horn und Hardart‘, an dessen
Schluss – wie passend – ein Luftballon mit lautem Knall
zerplatzt.
Die Nachkommen Frank Hardarts leben noch in New York. Es sind dies die
Kinder von Frank III. Hardart (1915-2000), Ritter des Malteser- und des
Hl.-Grabes-Ordens, und seiner Frau Frances O’Connor, bis 2007
Hospitalierin der Amerikanischen Assoziation des Malteserordens,
nämlich: Frank IV. (Unternehmer), George Edward
(Medizinprofessor), Richard (Medizinprofessor), Marie Therese,
Christopher (Footballmanager) und Michael (Schauspieler); ferner die
Kinder von Thomas Hardart (1918-1988), zwischen 1967 und 1972
Präsident der Horn & Hardart Co., und Rosemary Dunne,
nämlich: Thomas (ehem. Vice President von AOL), Paul (ehem. Vice
President von Universal Pictures), heute beide Filmproduzenten, Mary
Madeline, Rosemary, Marcella und Anne (Medizinprofessorin);
schließlich die Töchter von Robert Joseph Hardart
(1921-2001) und Jean Claire Kramer: Patricia und Mary Ellen, sowie die
Kinder von Augustin Stephen II Hardart (1922-1996) und Nancy Carr:
Augustin Stephen III (Manager) und Marianne (Medizinerin).
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Jugendstilinterieur des ersten Automaten. |